Autor: Stefan Wagner | 12.10.2023

Deutsche Bahn muss Entschädigung wegen fehlender dritter Geschlechtsoption zahlen

Man glaubt es kaum, aber so langsam müsste es doch in allen Chefetagen angekommen sein: Spätestens seit dem Urteil des BVerfG vom 10.10.2017 (Az.: 1 BvR 2019/16) haben wir es amtlich: es gibt das sogenannte dritte Geschlecht. Dies gilt in der freien Wirtschaft genauso wie für die Vereins- und Verbandsarbeit.
Bild: Fotolia

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Kernaussage der Entscheidung

  • Die Deutsche Bahn verstößt mit der Gestaltung ihres Onlineformulars gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
  • Für die technische Umstellung des Formulars wurde der Deutschen Bahn eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt.
  • Die direkte Ansprache der klagenden Person in Nachrichten muss die Deutsche Bahn hingegen direkt umstellen. In der Vorinstanz wurde dem Unternehmen hierzu vom Landgericht ein neutrales „Guten Tag“ vorgeschlagen.

 

 

Sachverhalt
Hintergrund des Verfahrens ist, dass die Deutsche Bahn in ihrem Bestellformular die Anrede als Pflichtfeld gestaltet hat und dort lediglich die zwei Optionen „Herr“ und „Frau“ zur Auswahl gestellt hat. Aufgrund dieser Auswahl wurden dann auch die E-Mails entsprechend gestaltet.
Um überhaupt ein Ticket buchen zu können, wählte die klagende Person die Anrede „Herr“ und wurde auch entsprechend in den direkten Nachrichten als „Herr so-und-so“ angesprochen.
Die klagende Person sah hierin eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, da sie als nichtbinär gilt.

 

Die Entscheidung
Während das LG einen Schadensersatzanspruch noch ablehnte, gestand das OLG der klagenden Person nun eine Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro zu.
„Die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Deutschen Bahn habe laut Gericht zu einer psychischen Belastung geführt. Dabei wurde allerdings berücksichtigt, dass die Deutsche Bahn keinerlei Vorsatz hatte, die klagende Person individuell zu benachteiligen.
Auf der anderen Seite hat die Deutsche Bahn – anders als andere große Unternehmen – bisher keine Anpassung vorgenommen, obwohl die dritte Option bereits seit Ende 2018 auch per Gesetz existiert. Ebenfalls nachteilig wirkte sich der Umstand aus, dass die klagende Person auf ihrer Bahncard ebenfalls noch immer als „Herr“ angesprochen wird.
 

Hinweis für die Vorstandsarbeit
Auch in der Vereins- und Verbandsarbeit sollten die Regelungen des AGG beachtet und umgesetzt werden, nicht zuletzt, um Schadensersatzansprüche abzuwenden.

 

Auswirkungen in der Praxis:
Satzung – Mitglieder – Organmitglieder

  • Geschlechtsneutrale Formulierung von Satzungsämtern
  • Neutrale Formulierung bei der Aufnahme von Mitgliedern
  • Gleichbehandlung von Eheleuten und Lebenspartnern im Beitragswesen
  • Quotenregelungen bei Besetzung von Satzungsämtern?

Arbeitsrecht

  • Geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen

Zugang zu Veranstaltungen und Wettbewerben

  • Keine Altersdiskriminierung bei der Teilnahme an Veranstaltungen
  • Teilnahme am Training

Vertragsgestaltung und allgemeine Geschäftsbedingungen im Verein

  • Neutrale Formulierung von Verträgen (z. B. Fitnessstudio, Teilnahme an Kursen und Veranstaltungen)
  • Neutrale Gestaltung von AGG (z. B. Nutzung des Fitnessstudios und Teilnahmebedingungen an Kursen).

 

Fundstelle: Oberlandesgericht Frankfurt (OLG), Urteil v. 21.06.2022, Az.: 9 U 92/20